David Göttler: Everest ohne Flaschensauerstoff |outdoor-magazin.com

2022-05-28 06:02:35 By : Mr. Myron Shen

Speichere Touren und füge sie zu deinem Profil hinzu um sie später wieder aufrufen zu können.

Registriere Dich kostenlos um diese Funktion zu nutzen.

Willst du deine Tour wirklich löschen?

Wenn es eine von Dir erstellte Tour ist, ist sie für andere Nutzer auch gelöscht.

Der Expeditionsprofi über den Everest-Erfolg, Training, seine mit Ueli Steck entwickelte Akklimatisierungsstrategie und Flaschensauerstoff als Doping.

Der Profi-Bergsteiger David Göttler erreichte am 21. Mai er den Gipfel des Mount Everest (8848m) ohne Zurhilfenahme von künstlichem Sauerstoff. Im Interview spricht er außerdem über sein Training, seine mit Ueli Steck entwickelte Akklimatisierungsstrategie und seine Einschätzung von Flaschensauerstoff als Doping.

David Göttler über seinen Erfolg am Everest:

Einen besseren Tag hätte ich mir nicht wünschen können. Fast keine Leute, perfektes Wetter und mein Körper und Geist haben auch gepasst. Mein langer Traum den Everest ohne Flaschensauerstoff und Sherpa hat sich erfüllt. Ich glaube, es wird noch ein wenig dauern bis ich das alles verarbeitet habe. Die letzten Hundert Höhenmeter haben es echt in sich. Es ist ein wenig auf und ab und ich hatte immer im Hinterkopf: "du musst diese Hochpassage nach dem Gipfel wieder zurück…reicht dir hier die Kraft??” Glücklicherweise hat sie gereicht!

David Göttler (44) hatte den Gipfel des höchsten Bergs der Welt am 21. Mai morgens um 9:45 Uhr Ortszeit erreicht. Es war sein dritter Versuch am Everest, er gelangte über den Normalweg an der Südseite (von Nepal kommend) auf den Gipfel. Ebenfalls ohne künstlichen Sauerstoff hat David bereits fünf weitere 8000er bestiegen: Gasherbrum 2, Dhaulagiri, Broad Peak, Makalu und Lhotse.

Im Januar war er noch im Alpinstil am Nanga Parbat, nun der Everest. David Göttlers Welt sind die 8000er. Der Gipfel ist ihm aber nicht genug, für den Profibergsteiger zählen auch Stil, Ehrlichkeit und eine gute Geschichte. Der 44-jährige Bergführer über Höhenbergsteigen zwischen großem Alpinismus und Tourismus.

"Einer der besten Höhenbergsteiger Deutschlands" – so wirst du meist eingeführt. Was macht einen guten Höhenbergsteiger aus?

Gute Frage, vor allem, weil ich 2013 zum letzten Mal auf einem 8000er gestanden habe. Seither gehe ich sisyphosmäßig an 8000er, war aber auf keinem mehr ganz oben. Trotzdem würde ich mich nicht als erfolglos bezeichnen, ich habe bei jeder Expedition viel dazu gelernt. Erfolg im Höhenbergsteigen bemisst sich auch darin, dass man aus eigener Kraft und mit allen Zehen und Fingern wieder nach unten kommt.

Laut Gerlinde Kaltenbrunner bist du zudem "der ideale Seilpartner". Was muss der mitbringen?

Im Team muss sich jeder zurücknehmen können und den anderen immer als gleichwertigen Partner betrachten. Ich glaube, das bringe ich mit, das verlange ich aber auch von meinem Bergpartner. Das ist der erste Baustein für ein funktionierendes Team. Dazu vertrage ich die Höhe gut und habe über die Jahre viel Erfahrung angehäuft.

Mit Gerlinde warst du aber schon ganz zu Beginn deiner Höhenbergsteiger-Karriere unterwegs …

Stimmt, mit Gerlinde war ich 2003 an meinem ersten 8000er, am Kangchendzönga. Aber da hatte ich schon viel Erfahrung in den Alpen gesammelt, ich war fast fertig mit meiner Bergführer-Ausbildung und ich war im Expeditionskader des DAV gewesen. Ich hatte also schon eine breite Basis. Nicht wie heute, wo für viele ihr erster richtiger Berg ein 8000er ist. Bei dieser Expedition hatte ich zudem das Glück, mit fünf absoluten Profis im Höhenbergsteigen unterwegs zu sein. Die Gleichberechtigung im Team habe ich da gelernt. Ich konnte mit Ralf Dujmovits über die Gefahren von Seracs diskutieren, trotz seiner immensen Expeditions-Erfahrung war ich nicht nur der Schüler. Es ist wichtig, dass man festgefahrene Routinen immer wieder reflektiert und manchmal auch aufbricht. Dazu sind "neue Leute" mit kritischen Anmerkungen sehr hilfreich.

War der Expeditionskader die Initialzündung, trotz einer Abschlussexpedition ohne Gipfelerfolg?

Trotzdem. Ich habe gemerkt, dass ich mit der Höhe gut zurecht komme, und die hohen Berge haben mich sofort fasziniert. Außerdem hat mir das Expeditionsleben wahnsinnig gut gefallen, darin habe ich die Abenteuerreisen meiner Kindheit wiedergefunden. Bis zu einer Schulausfahrt in der zehnten Klasse hatte ich nie in einem Hotel übernachtet. In unseren Familienferien haben wir immer gezeltet, wir sind mit dem Geländewagen bis in die Sahara gefahren, sind mit der Fähre nach Island und haben dort die ganzen Sommerferien im Auto geschlafen.

Hast du deine Ausbildung zum Bergführer direkt nach dem Expedkader begonnen?

Schon während des Kaders. 2003 war ich dann einer der jüngsten Bergführer Deutschlands. Im Anschluss habe ich ganzjährig geführt. Dass ich zum Profibergsteiger wurde, hat sich so nach und nach ergeben, das war nicht von Anfang an geplant. 2003, für unsere erste Patagonien-Expedition, habe ich zwei Jacken von The North Face Deutschland bekommen. Die Zusammenarbeit hat sich dann langsam immer weiter entwickelt, und heute bin ich in der glücklichen Situation, dass ich vom Sponsoring leben kann.

Führst du überhaupt noch? Hältst du manchmal auch Vorträge?

Nur ausgewählte Touren und Kunden, ich picke mir die Rosinen raus (lacht). Vorträge halte ich ab und zu. Es gibt Jahre, da funktioniert das prima, jetzt mit Corona eher weniger. Im Wesentlichen lebe ich vom Sponsoring. Ich habe die Freiheit und das Glück, mich voll auf meine Karriere als Bergsteiger konzentrieren zu können.

Beim Training kommt dir also nichts in die Quere. Was und wie viel trainierst du?

Ich dachte lange, ich würde richtig trainieren. Klettern, zuhause ein Boulderraum, fleißig Laufen gehen. 2015 hat mich Ueli Steck gefragt, ob ich mit ihm zur Shishapangma will. Da war mir klar, dass ich eine Schippe drauflegen muss. Zur selben Zeit habe ich Steve House kennengelernt. Der betreute damals eine Art Expeditionskader, "Alpine Mentors" hieß das Programm. Steve fragte mich, ob ich in Chamonix beim Ausbilder-Team dabei sein möchte. Zur selben Zeit gründete er sein "Uphill Athlete"-Business, ein Coaching für Bergsteiger mit sehr systematischem Training. Seither trainiere ich mit Steves Partner Scott Johnson. Jeder Monat, jede Woche, jeder Tag ist durchstrukturiert. Heute Morgen hatte ich eine Einheit, mit 25 Kilogramm zusätzlich die Skipiste mit Steigeisen hochgehen, gestern hatte ich Ruhetag, da habe ich nur 30 Minuten Stretching gemacht. Morgen ist zwei Stunden Ausdauer mit niedriger Intensität als aktive Erholung vorgesehen. Auf meiner Uhr zeichne ich die Einheiten auf und lade sie hoch. Ich bin quasi täglich im Austausch mit Scott. Das läuft wirklich sehr systematisch. Nach einer Expedition ist zwei Wochen Pause, danach geht’s wieder los. Und je näher die nächste Expedition kommt, desto größer werden Volumen und Intensität.

Wie steht’s mit Klettern?

An den Fels gehen, Sportklettern, das ist Hobby geworden – mit meinem Beruf hat das nichts zu tun (lacht). Am Anfang war das extrem frustrierend: Ich kam von einer Expedition und versuchte wieder schwer zu klettern. Hatte ich dann endlich wieder ein akzeptables Level erreicht, bin ich wieder auf Expedition – wie bei einer Jojo-Diät. Irgendwann habe ich für mich entschieden, dass ich für meine Expeditionen – so wie ich sie mache – nicht schwer klettern können muss. Ich muss nicht mal 6a klettern können. Ich gehe immer noch wahnsinnig gern klettern, aber ich habe da keinen Anspruch mehr. Ich freue mich, wenn ich eine 6a hochkomme. Ich habe akzeptiert, dass ich es nicht hinbekomme, Ausdauer und Höhenbergsteigen mit hartem Sportklettern zu kombinieren. Ueli war einer der wenigen, die das konnten.

Kürzlich hast du mit Babsi Vigl spontan die Cresta Berhault am Monviso gemacht. Passen solche Aktionen zu einem systematischen Trainingsplan?

Zum einen war das eine super gute Ausdauer-Einheit, am ersten Tag waren wir 10,5, am zweiten 14,5 Stunden kontinuierlich in relativ leichtem Gelände unterwegs. Besser kannst du dich fast nicht auf eine Expedition vorbereiten! Vorgestern war ich einen Tag schwer Mixedklettern am Montblanc du Tacul, was ich auch nicht für meine Expedition brauche. Aber diese Aktionen will ich mir nicht nehmen lassen. Außerdem war ich den ganzen Tag auf über 3600 Meter. So ein Trainingsplan ist ja auch ein fließender Prozess. Da schreibe ich Scott, dass ich keinen Ausdauer-Lauf gemacht habe, sondern am Berg war, und dann passt er meinen Trainingsplan für den Rest der Woche eben an. Es ist wichtig, dass du nicht zu starr wirst. Wenn du dich an einem Tag nicht gut fühlst und versuchst, dein Plansoll mit der Brechstange zu erreichen, schadest du dir mehr. Du musst auch auf deinen Körper hören!

Mit Ueli Steck hast du 2016 für die Shishapangma-Südwand bis zu 60 km lange Trailruns auf über 5000 Meter anstatt klassischer Akklimatisierung gemacht. Machst du das immer noch so?

Ja, das mache ich immer noch. Das haben Ueli und ich damals zusammen angefangen – und es hat sich wirklich bewährt. Ich genieße es auch total, im Khumbu zu sein, die Trails dort sind der absolute Wahnsinn! Dort habe ich meinen fixen Stützpunkt in einer Lodge in Chukhung, deren Inhaber sind gute Freunde. Das Gelände und die Rahmenbedingungen dort sind perfekt für meine Akklimatisation.

2016 ließ das Wetter an der Shishapangma keinen Versuch zu. 2017 bist du mit Hervé Barmasse über die Girona-Route in 13 Stunden bis knapp unter den Gipfel gestiegen. Der letzte Hang war zu lawinös. Wie schwer ist es, so kurz vor dem Ziel umzudrehen? Und: Ist die Shishapangma-Südwand für dich damit abgehakt?

Es ist eine offene Rechnung, ich will da nochmal hin! Beim Manaslu wird gerade diskutiert, ob es eine Toleranzzone gibt, was als Gipfelbesteigung gilt. Das ist Unsinn! Es gibt einen Gipfel, und wenn ich nicht genau dort war, war ich nicht oben, basta! 2017 war es trotzdem nicht schwierig, vor dieser finalen Zehn-Meter-Traverse umzukehren. Als wir in den Hang reinquerten, gab es sofort Wumm-Geräusche. Wir hatten nicht genügend Seil dabei, um das abzusichern, das war für uns beide weit außerhalb des akzeptablen Risikobereichs. Wir haben den Moment dort oben am Grat ausgiebig genossen, außer uns war in dem Jahr keine andere Expedition am Berg. Das ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl – so erhaben und schön, andererseits kommt man sich so unglaublich klein vor. Ich liebe dieses Gefühl, es ist so intensiv! Das hatten wir jetzt am Nanga Parbat wieder.

Dort warst du bereits im Winter 2014 mit Simone Moro. Damals bist du bis auf 7200 Meter gekommen, diesmal mit Hervé Barmasse war auf etwa 6200 Meter Schluss. Was hat euch ausgebremst?

Auch wenn wir weit vom Gipfel weg waren, war es großartig, zu zweit ganz allein im Winter im Alpinstil an einer solchen Wand zu sein. Bei der Akklimatisation sind wir einmal bis zum Lager II gekommen, danach hat das Wetter keinen Versuch mehr zugelassen. Wir hatten von vornherein gesagt, dass wir nicht den ganzen Winter dort warten. Wir wollten schauen, ob wir in vier Wochen vielleicht Glück mit einem Wetterfenster haben. Leider gab es keines.

Der Zeitrahmen war also fix?

Wenn der Wetterbericht zum Ende hin ein Schönwetterfenster angekündigt hätte, wären wir natürlich geblieben. Inzwischen können die Meteorologen ja vor allem die Höhenwinde, diese Jet-Systeme schon 14 Tage im voraus vorhersagen. Aber dass wir das Spiel bis zum Ende des Winters spielen, war nicht unsere Taktik.

Ist Winterbergsteigen an 8000ern auf dem Weg zu einer normalen alpinistischen Disziplin?

Das glaube ich nicht, die Erfolgschancen sind viel geringer. Vor allem, wenn du in leichterem Stil unterwegs bist. Der Stil ist für mich das Interessante beim Winterbergsteigen an 8000ern, das Neue. Alle 8000er wurden im Winter bestiegen, aber alle mit Fixseilen. Da reizt es mich, es im Alpinstil zu versuchen. Im Winter sind die Wetterfenster eh viel kürzer, eigentlich sollte da das schnelle Bewegen im Alpinstil sogar ein Vorteil sein.

Warum die Rupalwand? Ist die objektiv sicherer als die Diamirseite? Oder weil es mit 4500 Metern die höchste Steilflanke der Erde ist?

Weil sie südseitig ist. Auf der Schellroute wechselst du erst auf über 7000 Meter in den Schatten, davor ist alles in der Sonne, was einen großen Unterschied macht. Außerdem ist man meist ein bisschen im Windschatten. Ich glaube, das ist im Winter einfach die bessere Seite. Ein gutes Wetterfenster brauchst du trotzdem. Der Unterschied zwischen 2014 und jetzt war, dass wir im Abstieg von 6200 Meter keine Fixseile hatten. Da musst du dich unglaublich konzentrieren, in den steilen Eispassagen an Abalakovs abseilen, das ist eine völlig andere Spielform.

Was zählt als Winterbesteigung? Von wann bis wann gilt‘s?

Von Anfang Dezember bis Ende Februar, also der meteorologische Winter. Der Anfang macht wahrscheinlich keinen großen Unterschied, hintenraus kann er gewaltig sein. Im März kann es schon sehr frühlingshaft werden.

2019 bestieg Nirmal Purja alle 14 8000er, 2021 die Winter-Erstbesteigung des K2 durch ein nepalesisches "All-Star-Team". Sind die nepalesischen Bergsteiger inzwischen die stärksten?

Die waren schon immer die stärksten, sie kommen unglaublich gut mit der Höhe zurecht. Jetzt sind sie mündiger und selbstbewusster geworden und probieren es einfach allein. Es ist super, diese Entwicklung zu beobachten. Wenn die bei den alpintechnischen Fähigkeiten noch ein bisschen zulegen, werden die bald Sachen machen, die wir nicht für möglich gehalten haben.

Stilistische Fragen scheinen sie vorerst weniger zu interessieren. Stichwort künstlicher Sauerstoff oder Helikopter-Unterstützung …

Hier müssen wir differenzieren. Reden wir über kommerzielle Expeditionen mit Gästen? Da ist es für mich absolut okay, wenn die am Everest von Lager II runterfliegen, wenn Sachen hochgeflogen werden oder wenn sie Sauerstoff benutzen. Wenn wir über Profibergsteigen, über möglicherweise historische Leistungen reden, dann geht das meiner Meinung ganz klar nicht, dann geht auch kein künstlicher Sauerstoff.

Bei der ersten Winterbesteigung des K2 im Vorjahr wurde künstlicher Sauerstoff eingesetzt …

Das finde ich persönlich schade. Auf der anderen Seite musst du bedenken, dass sie das von uns gelernt haben. Die nepalesischen Bergsteiger sehen, dass 99 Prozent der "Bergsteiger" mit künstlichem Sauerstoff unterwegs sind. Da muss man sehr vorsichtig sein!

Du bezeichnest künstlichen Sauerstoff als Doping, unterscheidest aber zwischen kommerziellen Expeditionen und Profibergsteigern. Ergibt das Sinn?

Wenn du als Hobbyradler die Tour de France mit einem E-Bike nachfährst, hast du ein super Erlebnis, aber du weißt, wo du es einordnen musst. Normales Doping ist gesundheitsschädlich, deshalb lässt sich das mit künstlichem Sauerstoff nicht vergleichen. Andererseits will ich bei einem Marathon nicht wissen, was die in der Amateurklasse alles einwerfen. Wenn sich jemand seine Gesundheit ruinieren will, soll er es machen, das kann eh niemand verhindern. Aber er wird trotzdem nie davon leben können. Im Höhenbergsteigen ist das anders. Jeder, der den Everest hochkommt, egal wie, hält zuhause Vorträge über Motivation und Management und kann plötzlich Sponsoren finden. Ich würde mir wünschen, dass wir anfangen zu unterscheiden. Dass eine 8000er-Besteigung eines Hobby-Bergsteigers mit ausgiebiger Sauerstoff-Nutzung und Sherpas, die ihn ziehen und schieben, nicht in denselben Topf geworfen wird wie jemand, der es ohne künstlichen Sauerstoff versucht. Man kann einwenden, dass dieser auch die Fixseile und die Infrastruktur der kommerziellen Expeditionen nutzt. Trotzdem ist das ein entscheidender Unterschied, zudem der offensichtlichste: mit oder ohne künstlichen Sauerstoff.

Wäre es nicht am einfachsten, wenn Besteigungen mit künstlichem Sauerstoff offiziell nicht mehr anerkannt werden?

Ich sage schon seit Jahren, dass Besteigungen mit künstlichem Sauerstoff nicht mehr in die Himalaya Database eingehen sollten, meinetwegen für die Statistik, aber eben nicht mehr mit Name. Das gibt diesen Besteigungen viel zu viel Bedeutung. Auch die Presse sollte Besteigungen mit Sauerstoff nicht mehr dokumentieren. 2021 hat eine – ich glaube – Chinesin einen neuen Speed-Rekord für Frauen am Everest aufgestellt, mit Sauerstoff, mit fünf Sherpas, mit allem. Trotzdem hat sie es auf die BBC Frontpage geschafft. Solange so etwas honoriert wird, kommen wir keinen Schritt weiter. Ich will niemand vorschreiben, wie er oder sie es machen muss, aber wir müssen differenzieren. Ich gönne jedem Hobbybergsteiger das Glück und die Erfüllung, mit künstlichem Sauerstoff auf dem Gipfel des Everest gestanden zu haben. Wenn das aber dann mit dem gleichgesetzt wird, was Reinhold Messner gemacht hat, hört der Spaß auf. Selbst die Leistung von Nimsdai würde ich nie mit der von Reinhold Messner vergleichen.

Welche Auswirkungen hätte das auf den 8000er-Tourismus?

Ich glaube, erstmal keine. Die Leute würden weiterhin kommen. Und wie gesagt, habe ich kein Problem, wenn am Everest Material in Lager II geflogen wird. Dann müssen die Sherpas schon nicht so oft durch den gefährlichen Eisbruch. In den Alpen benutzen auch die meisten Seilbahnen. Das wäre ein ziemlich hohes Ross, wenn wir sagen würden, dort soll alles romantisch und rein ablaufen. Genauso, wenn kritisiert wird, dass es jetzt 4G im Everest Basecamp gibt. Hey, für alle, die dort arbeiten, ist das so schön! Die sind jedes Jahr monatelang dort, jetzt können sie mit ihren Familien telefonieren. Schön ist auch, dass die nepalesischen Agenturen inzwischen allein operieren. Es sind immer weniger westliche Veranstalter. Ich glaube nicht, dass weniger Gäste kommen werden. Auf keinen Fall fordern darf man, dass Sauerstoff verboten wird. Reinhold Messner hat recht: Was dort kommerziell passiert, ist Tourismus, das ist Disneyland! Aber am Matterhorn ist auch Disneyland, am Mont Blanc genauso! Wieso also sollte das dort nicht sein dürfen?

Demnächst reist du zum Everest. Dein wievielter Versuch ist das? (Anm.d.Red. Das Interview wurde Ende März geführt)

Für mich ist es der dritte – aller guten Dinge sind drei (lacht). 2014 und 2015 hatte ich auch ein Permit, 2014 war ich aber nicht mal im Basecamp, 2015 war ich gerade im Basislager auf der Nordseite angekommen, als das große Erdbeben war. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren. Deshalb zähle ich die zwei Jahre nicht. 2019 bin ich wegen des Menschen­staus 100 Meter unter dem Gipfel umgekehrt, 2021 bin ich mit Kilian Jornet bis zum Südsattel gekommen.

Diesmal wieder allein – und wieder über den Normalweg?

Ja! Klar sind da 800 andere drumrum. Ich würde nie von einem Solo oder von Alpinstil sprechen, das geht gar nicht. Aber in meinem Stil, allein, ohne Sauerstoff und ohne Sherpas ist das für mich anspruchsvoll genug. Und trotz aller Widrigkeiten ist der Normalweg einfacher, als allein oder auch zu zweit am Westgrat oder am Hornbein-Couloir unterwegs zu sein. Wäre China offen gewesen, hätte ich es von Norden versucht, aber das ist leider nicht der Fall.

"Alpinism is a competition in story telling", hat Marko Prezelj mal gesagt. Welche Geschichten erzählst du am liebsten?

Wenn man davon leben will, geht es wirklich darum, gute Geschichten zu erzählen. Ich versuche, meine Erlebnisse ehrlich und möglichst ungefiltert zu erzählen. 2021 haben Kilian Jornet und ich klar gesagt, dass wir uns nicht gut fühlten, als wir am Südsattel ankamen. Nicht dass das Wetter zu schlecht war oder sonst was. Darauf lege ich Wert. Und darauf, dass ich mich selbst nicht zu wichtig nehme und arrogant rüberkomme. Bei der Auswahl meiner Ziele brauche ich etwas, das mich motiviert: im Alpinstil zu zweit im Winter am Nanga Parbat, am Everest den höchsten Punkt der Erde ohne künstlichen Sauerstoff erreichen. Es kann eine neue Linie sein wie ursprünglich an der Shishapangma-Südwand. Ich schaue aber nicht, wo ist etwas noch nicht gemacht, ich bin nicht auf der Suche nach Rekorden. Am Ende kann ich immer sagen: Hey, ich bin der erste aus meiner Straße, der das gemacht hat!

Erzählst du deine Geschichten gern? Deine Präsenz in den Social Media scheint dir jedenfalls Spaß zu machen. Stimmt der Eindruck?

Instagram macht mir Spaß, Facebook überhaupt keinen. Ich habe irgendwann gesagt: Wenn du die Freiheit haben willst, auf Expeditionen zu gehen, dann musst du auch diese Seite des Profitums akzeptieren. Und dann ist es besser, wenn du einen Weg findest, der dir Spaß macht. Ich sehe bei manchen Profis aus meiner Generation, wie die sich dagegen sträuben. Aber damit macht man sich nur das Leben schwer. Das ist ein Don-Qui­jote-Kampf, den wirst du nicht gewinnen! Ich habe mir eine Plattform gesucht, die mir Spaß macht – ich mag das Visuelle bei Instagram, es ist clean, aufgeräumt und einfach zu konsumieren.

Wie lange denkst du, kannst du als Profi deine Brötchen verdienen?

Es gibt Beispiele wie Conrad Anker, das kann ewig gehen. Weil es eben um Geschichten geht. Wenn du irgendwann mehr in die Rolle als Mentor schlüpfst, kann das auch eine Geschichte sein. Und ich habe ja noch die Bergführerei, auf die ich zurückgreifen kann. Führen kannst du bis zur Rente, du kannst dir ja deine Kundschaft aussuchen. Ich kenne Bergführer, die mit 75 noch führen und dann halt mit ihren 80-jährigen Gästen um die Zugspitze wandern.

Spanische Mobilnummer, Chamonix, ein Wohnsitz in München – wo lebst du eigentlich?

Überall und nirgendwo (lacht). Ich würde gern "Weltbürger" als Nationalität angeben. München ist mein Hauptwohnsitz. Den Sommer verbringe ich in Spanien – mit meiner Partnerin baue ich in Kantabrien ein Haus. Im Winter bin ich die meiste Zeit in Chamonix, Frühjahr und Herbst verbringe ich großteils in Nepal oder Pakistan. Bei meiner Partnerin ist es ähnlich: Sie ist Ärztin, arbeitet in England und wechselt mit mir zwischen Chamonix und Kantabrien. Ob sie von Genf oder Bilbao nach England fliegt, ist gleich. Und im Frühjahr und manchmal auch im Herbst arbeitet sie als Expeditionsärztin in Nepal.

Welche Berge willst du auf jeden Fall noch machen?

Der Everest steht ganz oben auf der Liste. An die Shishapangma-Südwand möchte ich nochmal, da habe ich mit Hervé eine neue Linie im Auge. Auch zum Kangchendzönga und zum Cho Oyu würde ich sehr gerne nochmal. Wenn du dich mit einem Projekt auseinandergesetzt hast, dann möchtest du das irgendwann in der Realität ausprobieren. Ach ja, auch der Nanga Parbat steht weit oben auf der Liste …

Geht’s im nächsten Winter wieder dorthin?

Das schon zu fixieren, dafür ist es ein bisschen zu früh. Ich bin etwas vorsichtiger geworden, vor allem in den letzten drei Jahren. Inzwischen konzentriere ich mich auf die nächste Expedition. Um alles, was danach kommt, kümmere ich mich anschließend. Aber der Nanga Parbat ist im Hinterkopf.

Was willst du sonst noch unbedingt machen in deinem Leben?

Mein Gleitschirm-Können würde ich gern noch ausbauen, da hadere ich manchmal, dass da nichts voran geht. Ansonsten bin ich quasi wunschlos glücklich. Ich habe meine Projekte und weiß, dass mir die Ziele nie ausgehen werden.

Wenn man draußen mal muss? So macht ihr alles richtig

Männer und Frauen erleiden verschiedene Verletzungen; plus: mögliche Gründe

© 2022 OUTDOOR ist Teil der Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG

Weitere Angebote der Motor Presse Stuttgart GmbH & Co. KG & Motor Presse Hamburg GmbH & Co. KG